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03.03.2018, 10:42 Uhr
Sind wir tatsächlich so rechts, wie wir uns geben?
Offener Brief von Albina Nazarenus-Vetter, Vorsitzende des Netzwerkes Aussiedler in der CDU Hessen
Wiesbaden/Frankfurt am Main, 03. März 2018 - Die ganze Republik beklagt gerade einen klaren Rechtsruck. Die letzten Umfragen zeigen die AfD in einigen Bundesländern sogar als zweitstärkste politische Kraft. Ein Grund zur Sorge? Und wie!
Albina Nazarenus-Vetter, Vorsitzende des Netzwerkes Aussiedler in der CDU Hessen
Denn es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass diese Partei ein Sammelbecken für jegliche fremdenfeindlichen, islamophoben, antisemitischen, rassistischen bzw. frauenfeindlichen Einstellungen ist. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht einer der Parteifunktionäre mit Äußerungen solcher Art für Schlagzeilen sorgen würde. Dies – natürlich – mit der klaren Berechnung, Stimmen einzufangen, Ressentiments zu wecken und Ängste zu schüren, die es – leider – bei manchen Wählern gibt. Bedauerlicherweise auch immer mehr unter meinen Landsleuten.

Aber Rassismus ist in Deutschland keine harmlose Sache. Rassismus hat in Deutschland – und darüber hinaus in vielen Teilen der Welt – zu Millionen Todesopfern geführt und darf hierzulande nie wieder salonfähig bzw. ein Teil des politischen Diskurses werden! Manch aktuelle Meinungsäußerung lässt einen aber befürchten, es sei nur eine Frage der Zeit, wann die Radikalsten in der AfD ihre Worte in Taten umsetzen und zur Gewalt gegen Andersgläubige, Andersdenkende oder Andersaussehende aufrufen werden.

Ich frage mich schon lange und ernsthaft, wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet meine Landsleute, die ich immer für sehr vernünftig, besonnen, barmherzig und geprägt von christlichen Werten hielt, plötzlich verstärkt Affinität zu nationalistischen und fremdenfeindlichen Parteien bzw. Strömungen entwickeln können, deren politische Agenda aus Hetze, Hass und Aggression besteht. In der ehemaligen UdSSR selbst Teil einer Minderheit, die zahlreichen Repressalien und Diskriminierungen ausgesetzt war, schrecken Deutsche aus Russland plötzlich nicht mehr davor zurück, vor dem Kanzleramt mit NPD-Fahnen zu demonstrieren und in sozialen Medien gegen Moslems, Homosexuelle, Flüchtlinge und andere Minderheiten zu hetzen.

Zuerst dachte ich, dies sei nur ein einmaliger emotionaler Ausbruch, der mit dem „Fall Lisa“ in Berlin in Verbindung stand. Wobei ich auch da schon erschrocken war von der aufgeladenen, aggressiven Stimmung, die sich dort zeigte. Seitdem vergeht jedoch kaum eine Woche, ohne dass wir Deutsche aus Russland medial im Fokus stehen und mit dem Erstarken der AfD in Verbindung gebracht werden. Zu Recht?

Wenn ich von meinen einheimischen Freunden, Kollegen oder Nachbarn gefragt werde, was der Grund für solche Einstellungen unter den Deutschen aus Russland sei, so tue ich mich mit raschen Erklärungen schwer. Denn selbstverständlich stelle ich mich sofort erst einmal instinktiv beschützend vor meine Landsleute, wie ich es schon immer getan habe. Ich erzähle dann von vielen Hoffnungen und Enttäuschungen, die meine Landsleute bei der Integration in Kauf nehmen mussten: dass sie als „Russen“ abgestempelt worden seien, dass viele noch unter einer Identitätskrise leiden würden, dass viele Bildungs- und Berufsabschlüsse nicht erkannt worden seien, dass viele ältere Menschen von Altersarmut betroffen seien, dass noch immer Familien auseinandergerissen seien, dass sie Angst vor der Globalisierung und Überfremdung hätten und vor dem Verlust ihrer endlich wieder gefundenen Heimat. Und dass sich die politisch Verantwortlichen zu wenig um diese Gruppe gekümmert hätten, dass in den Bereich „Politische Bildung der Deutschen aus Russland“ nie ausreichend Fördermittel geflossen worden seien und so fort.

Im selben Atemzug erzähle ich aber auch von beispielhaften Leistungen, die meine Landsleute trotz aller Hindernisse bei ihrer Integration innerhalb kürzester Zeit erbracht haben. Dass man auf gar keinen Fall pauschalisieren dürfe und dass die Deutschen aus Russland keine homogene Gruppe seien, sondern – wie bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe – es solche und solche gebe. Und dass die meisten sehr zufrieden mit ihrem Leben in einem freien Land seien, zu dem sie sich zu 100 Prozent bekennen würden.

Wenn ich dann auf der anderen Seite wiederum die ganze Entwicklungen der letzten zwei Jahre nach dem „Fall Lisa“ und der rasanten Entwicklung der AfD – auch dank Unterstützung aus den Reihen der Deutschen aus Russland – reflektiere (Und ich brauche dafür keine Vielzahl an soziologischen Untersuchungen als Beweis; es genügt mir, wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre und einen Blick in die russischsprachigen sozialen Medien werfe!), so wird mir nicht nur ein bisschen mulmig zumute. Nein, mich packt richtig die Wut!

Ich bin wütend, weil dieser Rechtsruck unsere Gruppe insgesamt in einem verheerenden Bild zeigt. Nicht nur, weil so die ganze erfolgreiche Integrationsarbeit, die seit Jahrzehnten von dem größten Teil unserer Landsleute – auch dank der Unterstützung der zahlreichen ehrenamtlich Aktiven der Landsmannschaft und der Deutschen Jugend aus Russland – geleistet wurde, zunichtegemacht werden kann, sondern auch, weil es zu einer gewissen Entfremdung, ja sogar einem Vertrauensbruch gegenüber der übrigen Gesellschaft und so zu noch mehr Verunsicherung führen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, ein Teil unserer Landsleute vertraut Putins Propagandamedien, die ja genau darauf abzielen, mehr als der eigenen Vernunft.

Ich bin wütend, weil es uns als Volksgruppe insgesamt nicht gelingt, uns ganz klar gegen diese Entfremdung, diesen Hass, diese Verleumdung und diese Ausgrenzung zu wehren! Nein, wir überlassen es den Rechtsaußen von der AfD, dem Konvent der Russlanddeutschen, der Partei Die Einheit, dem Arminius-Bund, der Biker-Gruppe „Russlanddeutsche Wölfe“ und wie sie alle heißen, in unser aller Namen zu sprechen!

Ich wehre mich! Und ich rufe Sie, liebe Landsleute, dazu auf, geschlossen gegen diese Bevormundung von nationalistischen und rassistischen Kräften und das Abdriften an den rechten Rand aufzutreten!  Unsere Demokratie braucht Menschen, die selbstbestimmt, eigenverantwortlich und gemeinwohlorientiert handeln und sich als Teil der Gesellschaft in das politische Leben einbringen.

Lassen Sie uns die Kräfte bündeln und deutlich unsere politische Agenda bei den verantwortlichen demokratischen Kräften einfordern: mehr Fördergelder, die in die politische Bildungsarbeit einfließen, mehr Integration unserer Landsleute in die parteipolitischen Strukturen, mehr Information über die Geschichte, Kultur und Werte der Deutschen aus Russland sowie Bekämpfung der Altersarmut und nachholende Integration.

Bitte beachten Sie hierzu auch diesen Fernsehbericht: 
 

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videosextern/deutschland-heimat-fremdes-land-112.html